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BMBF-Forschungsschwerpunkt | Steuerung im Bildungssystem

Berichte aus den Projekten

Projekt: Funktionen von Schulinspektion: Erkenntnisgenerierung, wissensbasierte Schulentwicklung und Legitimation

Projekt: Funktionen von Schulinspektion

Projekt: Funktionen von Schulinspektion

  1. Studienhintergrund

Ausgehend von Befunden des Vorläuferprojekts „Schulinspektion als Steuerungsimpuls" (10/2010-09/2013), untersuchte das Verbundprojekt die Logik und Herausforderungen von Reformprozessen im Schulsystem am Beispiel des Steuerungsinstruments Schulinspektion. Das Vorhaben setzte dabei an den als zentral geltenden Funktionen der Evidenzbasierung politisch-administrativen Handelns und der Initiierung evidenzbasierter Schulentwicklungsprozesse an. Gefragt wurde zum einen danach, inwieweit das Instrument der Schulinspektion der Erkenntnisgenerierungs- und Schulentwicklungsfunktion gerecht werden kann, die ihm im Rahmen des Programms einer evidenzbasierten Schulsystemsteuerung zugeschrieben werden (Teilprojekt B). Zum anderen wurde danach gefragt, welche Bedeutung die Erfüllung dieser Funktionen für die politisch-administrative Legitimation der Schulinspektion hat, und was die Einbettung in bürokratische Strukturen für die Prozessierung des Instruments bedeutet (Teilprojekt A).

2. Forschungsdesign

Das Instrument der Schulinspektion wurde im Rahmen des Verbundprojekts mithilfe eines qualitativen Forschungsdesigns und vor dem Hintergrund governanceanalytischer Überlegungen in seiner Einbettung in eine komplexe Instrumenten-, Daten- und Akteurskonstellation analysiert. Die empirische Grundlage hierfür bildeten leitfadengestützte Interviews mit Vertreter/inne/n relevanter Akteursgruppen auf den unterschiedlichen Ebenen des Schulsystems (administrative Akteure der Schulinspektionssysteme, Vertreter/innen der Schulaufsicht und der Schulträger, Schulleitungen, Lehrer/innen, Eltern). Auf dieser Basis wurden in Teilprojekt A schulinspektionsbezogene administrative Handlungslogiken, insbesondere administrative Legitimationsmuster, objektiv-hermeneutisch rekonstruiert. In Teilprojekt B wurde mithilfe des Verfahrens des thematischen Kodierens und auf Basis des Datenmaterials aus erster und zweiter Förderphase ein qualitativer Längsschnitt schulischer Entwicklungsprozesse angefertigt und die Bezugnahmen politisch-administrativer Akteure auf die Erkenntnisgenerierungsfunktion der Schulinspektion empirisch nachvollzogen. Die Ergebnisse der beiden Teilprojekte wurden abschließend triangulativ aufeinander bezogen.

3. Ergebnisse

Eine der zentralen Thesen, die im Rahmen des Verbundprojekts entwickelt wurden, ist, dass es im Kontext der aktuellen Schulsystemsteuerung und hier insbesondere im Schulinspektionskontext zu einer verstärkten Politisierung der Bildungsverwaltung kommt. Das bedeutet, dass für die Bildungsverwaltung Fragen der Legitimation der eigenen Arbeit sowohl gegenüber der Politik als auch gegenüber den Einzelschulen in besonderer Weise relevant werden. Vor diesem Hintergrund reicht es für die administrativen Akteure der Schulinspektion nicht mehr aus, politisch formulierte Ziele formal-rational zu bearbeiten. Vielmehr kommt es darauf an, bildungspolitische Reformen als administrative Projekte zu konzipieren, d. h. sie mit einem Sinn auszustatten, der intern und extern kommunizierbar ist, und so innerhalb der Kultushierarchie eigene Mehrheiten für diese administrativen Projekte zu beschaffen. Dieser neuen Verhältnisbestimmung von Politik und Verwaltung im Kontext der aktuellen Schulsystemsteuerung entspricht eine neue Verhältnisbestimmung von Bildungsadministration und Einzelschule. Zwar gibt es nach wie vor Schulen, die sich in erster Linie „im Schatten der staatlichen Hierarchie“ bewegen, deren Verarbeitung von Schulinspektionsergebnissen also vorrangig daran orientiert ist, staatlich-normative Vorgaben zu erfüllen. Daneben existiert jedoch ein zweiter Typ von Schulen, der in seiner Verarbeitung der Inspektionsergebnisse deutlich autonomer agiert. Die schulischen Akteure dieses Typus nutzen u. a. Inspektionsergebnisse, um sich in ihrem regionalen Umfeld und auch gegenüber der Bildungsadministration als eigenständiger Akteur zu profilieren. Die im Kontext der aktuellen „neuen“ Schulsystemsteuerung propagierte „Autonomisierung“ der Einzelschule erfordert insofern eigentlich eine professionelle Adressierung der schulischen Akteure durch die Bildungsadministration, d.h. eine Form der Beziehung, die konsens- und nicht kontrollorientiert ist. Die Voraussetzung für eine solche „neue“ Form der Adressierung der Einzelschule im Kontext der aktuellen Schulsystemsteuerung wäre jedoch eine Entbürokratisierung der Bildungsverwaltung, durch die Fragen der Legitimation und der Legitimität des eigenen Handelns überhaupt erst einmal in den administrativen Blick gelangen würden. Die Schulinspektion, zumindest dann, wenn man sie als Teil der Verwaltung konzipiert, hat insofern weniger ein Erkenntnis-, als vielmehr ein Adressierungsproblem.

 

Projektverantwortliche

Prof. Dr. Martin Heinrich (Universität Bielefeld, Verbundkoordination)

Prof. Dr. Thomas Brüsemeister (Justus-Liebig-Universität Gießen)

Prof. Dr. Jochen Wissinger (Justus-Liebig-Universität Gießen)

 

Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen im Projekt

Maike Lambrecht, M.A. (Universität Bielefeld)

Lisa Gromala, M.A. (Justus-Liebig-Universität Gießen)

 

Kontakt

  • Maike.Lambrecht@uni-bielefeld.de
  • Lisa.Gromala@sowi.uni-giessen.de

Projekt: Förder- und Selektionspraktiken als Reaktionsformen auf Instrumente der Output- und Wettbewerbssteuerung im Schulsystem (‚SelF‘)

Leiter des Projekts: Prof. Dr. Johannes Bellmann

Leiter des Projekts: Prof. Dr. Johannes Bellmann

  1. Studienhintergrund

Nach den Ergebnissen der internationalen Bildungsvergleichsstudien hat individuelle Förderung vor allem in der Lehr-Lern-Forschung verstärkte Aufmerksamkeit erfahren, wobei aus interdisziplinärer Perspektive meist nach den Bedingungen erfolgreichen schulischen Lernens gefragt wird. Dabei wird (individuelle) Förderung oftmals als modellhaft anzuwendendes Repertoire diagnostischer und didaktischer Maßnahmen gefasst. Sie wird meist als linearer Prozess verstanden: Startpunkt sei die Defizitdiagnose, worauf dann über Beziehungsarbeit die Selbstmotivation der SchülerInnen gesteigert werden könne, was wiederum zu verbesserten Leistungen führe. Mit einer solchen Betrachtungsweise, die individuelle Förderung vor allem als Diagnose und Coaching von SchülerInnen begreift, kommt allerdings erstens nicht in den Blick, wie unterschiedlich individuelle Förderung in unterschiedlichen Schulen ausgestaltet sein kann, zweitens, wie unterschiedliche Formen individueller Förderung auf Seiten der SchülerInnen, aber auch auf Seiten der LehrerInnen wirken und drittens, wie ein Beitrag zur theoretischen Grundlegung individueller Förderung aussehen könnte. Das unter Leitung von Prof. Dr. Johannes Bellmann durchgeführte Projekt ‚SelF‘ hat sich zum Ziel gesetzt, diesen Desiderata zu begegnen. Indem die spezifische Ausgestaltung individueller Förderung als Praktiken der Konstruktion von Differenz in den Blick genommen wird und die darin transportierten Anforderungen im Hinblick auf Subjektivierungseffekte untersucht werden, wird neben empirischen Erkenntnissen auch ein Beitrag zur Theoriedebatte um individuelle Förderung geleistet.

  1. Studiendesign

An dem qualitativen Forschungsprojekt beteiligen sich vier Gesamtschulen in Brandenburg. In diesen werden in mehreren mehrtägigen Feldaufenthalten Beobachtungen der unterrichtlichen Praxis durchgeführt. Bei der Auswertung der Beobachtungsdaten mittels Interpretationen im Zuge einer Praktiken- und Diskursanalyse kommt in den Blick, wie Praktiken des Differenzierens im Rahmen individueller Förderung ausgestaltet werden. Einbezogen werden hier zudem auch Artefakte, Personen und Interaktionen, die das Vollzugsgeschehen gestalten, als auch Leitfadeninterviews mit LehrerInnen und Schulleitungen sowie Gruppendiskussionen der Steuergremien. Darüber hinaus werden Schuldokumente analysiert, in denen sich Diskurse hinsichtlich der Relationierung von Förderung und Selektion einschreiben.

  1. Bisherige Analyse-Ergebnisse

Die bisherigen Auswertungen lassen erkennen, dass sich individuelle Förderung in Praktiken der Differenzkonstruktion in unterschiedlicher Weise zeigt. Abhängig scheint dies davon zu sein, wie auf Seiten der Schule und auf Seiten der Lehrkräfte die Forderungen des Förderdiskurses verarbeitet werden. In den beobachteten Unterrichtsstunden wird deutlich, dass individuelle Förderung immer im Zusammenspiel von drei Dimensionen verhandelt wird: In der ersten Dimension geht es um motivational-volitionale Aspekte (Wollen), in der zweiten Dimension um die Potenziale und das gezeigte Können der SchülerInnen (Können) und in der dritten Dimension um die in Schule präsenten Leistungserwartungen (Sollen). Analysiert man das Zusammenspiel dieser Dimensionen genauer, so lassen sich vier grundsätzliche Muster oder Figurationen erkennen, wie individuelle Förderung im Unterricht verhandelt wird. In diesen Figurationen adressieren sich die LehrerInnen wie die SchülerInnen wechselseitig in einer jeweils eigentümlichen Weise. Sie geben dabei an, welche Positionen sie einnehmen (wollen), welche Verantwortungen sie tragen (sollen) und welche Möglichkeitsräume sie besitzen (können). Diese Figurationen reichen von der bloßen Verantwortungsübertragung an SchülerInnen, sich den gesetzten Leistungserwartungen im Rahmen von Selbstführung anzunähern bis hin zur Förderung von Individualität, indem die SchülerInnen lernen, in der Auseinandersetzung mit Sachverhalten ein eigentümliches Wollen erst zu entwickeln. Manche dieser Figurationen scheinen regelmäßiger vorzukommen als andere. Vieles spricht dafür, dass individuelle Förderung vor allem mit Formen eines Behaviour- und Classroommanagements verknüpft ist, das sich durch einen Rückzug der Lehrperson auszeichnet und darauf gerichtet ist, Selbstführungskompetenz zu etablieren. Sachbezogene, didaktische Förderpraktiken, die auf das Verstehen von Unterrichtsgegenständen zielen und intensiver Vermittlungsleistungen bedürfen, treten dagegen in den Hintergrund. Diese Ergebnisse, die noch weiter geprüft und akzentuiert werden müssen, geben Hinweise darauf, dass bei individueller Förderung zunehmend die Bearbeitung von Selbstverhältnissen im Vordergrund steht, die implizit als Bedingung für erfolgreiches selbstorganisiertes Lernen verstanden wird.

  1. Folgerungen

Individuelle Förderung muss als mehrdimensionales Phänomen betrachtet werden, das sich im praktischen Unterrichtsgeschehen oftmals anders zeigt als von Wirkmodellen gedacht. Die an den untersuchten Figurationen herausgearbeiteten Ambivalenzen sensibilisieren dafür, individuelle Förderung nicht per se als ‚gut‘ zu erachten, sondern ihr Wirksamwerden in einer umfassenderen Weise in den Blick zu nehmen. In Rückmeldeveranstaltungen mit den Schulen sowie in Berichten an Bildungspolitik und -administration werden dahingehend Reflexionsprozesse angestoßen.

Das Projekt wird an der Westfälischen Wilhelms-Universität von Prof. Dr. Johannes Bellmann, Katharina Hans und Sebastian Schweizer durchgeführt.


Projektverantwortliche

Prof. Dr. Johannes Bellmann (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)


Wissenschaftliche Mitarbeiter im Projekt

Katharina Hans (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)

Sebastian Schweizer (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)


Kontakt: 

  •        johannes.bellmann@uni-muenster.de;
  •        khans@uni-muenster.de;
  •        sebastian.schweizer@uni-muenster.de