Springe direkt zu Inhalt

BMBF-Forschungsschwerpunkt | Steuerung im Bildungssystem

Nicht-intendierte Effekte Neuer Steuerung im Schulsystem

Team Prof. Dr. Johannes Bellmann

Team Prof. Dr. Johannes Bellmann

News vom 24.09.2012

Das SteBis-Projekt über „Nicht-intendierte Effekte Neuer Steuerung im Schulsystem“ hat sich u.a. zum Ziel gesetzt, eine insbesondere in der deutschsprachigen Literatur (etwa bei Wolfgang Böttcher oder Sigrid Blömeke) verbreitete These zu überprüfen, der zufolge Nebenfolgen Neuer Steuerung nur oder vor allem unter Bedingungen von „high-stakes accountability“ zu beobachten seien. Da in Deutschland bislang keine vergleichbaren „high-stakes“- Bedingungen existieren, d.h. Ergebnisse zentraler Leistungstests nicht mit ernsthaften Konsequenzen für Schulen und Lehrer verbunden werden, sind dieser These zufolge auch keine nennenswerten Nebenfolgen zu erwarten.

Nach einer qualitativen Erhebung mit gut 100 Interviews mit SchulleiterInnen und Lehrkräften in vier Bundesländern (Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Thüringen) finden sich im Rahmen des Forschungsprojekts um Prof. Dr. Johannes Bellmann eine Fülle empirischer Hinweise, die Anlass geben, die o.g. These in Frage zu stellen. Auch unter Bedingungen von „no stakes“ bzw. „low stakes“ berichten SchulleiterInnen und LehrerInnen über ein breites Spektrum von Nebenfolgen. Nahezu alle Nebenfolgen, die im Vorfeld aus der internationalen Literatur zu den „unintended consequences“ der Neuen Steuerung herausgearbeitet wurden, werden auch von den interviewten Akteuren in den Schulsystemen der untersuchten Bundesländer beobachtet. Innerhalb dieses Spektrums von Nebenfolgen zeigen sich Schwerpunkte, die in den Interviews einen besonderen Raum einnehmen.

Oft wird berichtet, dass im Unterricht z.T. über Wochen auf Aufgaben und Aufgabenformate von Kompetenztests vorbereitet wird, sei es mit Hilfe alter Testhefte oder mit Hilfe von Übungsbüchern, die diverse Schulbuchverlage inzwischen auf den Markt gebracht haben. Nur bei einem Teil der Akteure zeigt sich ein Problembewusstsein für die Ambivalenz von Testvorbereitung.

Einige Akteure berichten von einer Ressourcenverlagerung innerhalb von Leistungsdomänen zugunsten von Schwerpunktsetzungen, wie sie von Kompetenztests vorgenommen werden. So beobachten Akteure, dass beispielsweise im Deutschunterricht ein stärkerer Fokus auf das Leseverständnis gelegt wird, während komplexere Anforderungen wie „Erklären“ und „Bewerten“,  die in Kompetenztests seltener vorkommen, auch im Unterricht zurücktreten.

Vor und während Schulinspektionen finden einigen Interviews zufolge unterschiedliche Formen des Windowdressing statt: der Alltag, der in der Inspektion gezeigt wird, entspricht in diesem Fall nicht dem Alltag von Schule und Unterricht. Berichtet wird etwa, dass der in Schulinspektionen gezeigte Unterricht durch größere Methodenvielfalt und Binnendifferenzierung gekennzeichnet ist und insgesamt besser vorbereitet wird.

In einigen Interviews wird über einen deutlichen Aufgabenzuwachs durch die Neue Steuerung berichtet: Verwiesen wird insbesondere auf die Mehrarbeit, die mit der Administration der neuen Steuerungsinstrumente und der Dokumentation von Ergebnissen verbunden ist. Vielen Akteuren zufolge geht diese „Bürokratie“ zu Lasten der inhaltlichen Arbeit im Unterricht.

Im Spektrum der aus der Literatur herausgearbeiteten Nebenfolgen gibt es auch einzelne Phänomene, die in unseren Interviews kaum eine Rolle spielen. So wird von den Akteuren nur äußerst selten der Versuch beobachtet, Ergebnisverbesserungen der Schule durch verstärkte Nutzung externer Ressourcen (Nachhilfe, Kooperation mit Betrieben und Unternehmen im Umfeld der Schule etc.) zu erzielen.

Während bislang von der Beobachtung negativer oder zumindest ambivalenter Nebenfolgen die Rede war, wird in einigen Interviews auch von einem Phänomen berichtet, das man als eine positive Nebenfolge Neuer Steuerung ansehen könnte: So wird darauf hingewiesen, dass es im Rahmen Neuer Steuerung zu verstärkter Lehrerkooperation kommen kann. Der Umgang mit den neuen Steuerungsinstrumenten schafft offensichtlich neue Notwendigkeiten und Chancen, im Kollegium zu einem Austausch über Fragen von Schulqualität zu kommen.

Bei der noch laufenden genaueren Analyse und Interpretation der qualitativen Daten wird sich zeigen, inwiefern die Wahrnehmung der Neuen Steuerung und ihrer Nebenfolgen mit bestimmten Deutungsmustern der Akteure zusammenhängt. Auf der Grundlage der für 2013 geplanten quantitativen Erhebung lässt sich dann auch etwas über die Häufigkeit der von den Akteuren beobachteten Nebenfolgen aussagen.

Kontakt: nefo@uni-muenster.de